rehm-verlag   Online-Produkte öffnen

Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung – Betriebsübergang

Jetzt bewerten!

Das Bundesarbeitsgericht hatte über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung zu entscheiden.

Leitsätze

  1. Der scheinbar nur den Betriebserwerber betreffende Antrag eines Arbeitnehmers, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs zum Erwerber besteht, kann zugleich gegen den Betriebserwerber gerichtet sein.

  2. Hat nach dem möglichen Betriebsübergang der Veräußerer das Arbeitsverhältnis gekündigt und hat der Arbeitnehmer deshalb gegen ihn hilfsweise Kündigungsschutzklage erhoben, handelt es sich bei dieser in einem solchen Fall um eine objektive Eventualklage innerhalb eines zum Veräußerer bereits unbedingt bestehenden Prozessrechtsverhältnisses. Eine in subjektiver Hinsicht bedingte – unzulässige Klagehäufung liegt dann nicht vor.

  3. Ein Arbeitgeber, der keine eigenen Arbeitnehmer mehr beschäftigen will, ist zur Vermeidung einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung eines tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses grundsätzlich nicht verpflichtet, die Möglichkeit einer „Gestellung“ des betreffenden Arbeitnehmers an einen anderen Arbeitgeber zu sondieren.



Orientierungssätze

  1. Die Auslegung kann ergeben, dass der scheinbar allein den Erwerber betreffende Antrag, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis – aufgrund eines Betriebsübergangs – zu diesem besteht, zugleich gegen den Veräußerer gerichtet ist, wenn dieser sich einer gegenteiligen Rechtsposition berühmt. Dann ist die für den Fall des Unterliegens mit dem allgemeinen Feststellungsantrag gegen den Veräußerer erhobene Kündigungsschutzklage in zulässiger Weise allein in objektiver Hinsicht bedingt.

  2. Eine in subjektiver Hinsicht bedingt erhobene Klage ist unzulässig. Der Kläger kann sie dadurch zulässig machen, dass er sie in eine unbedingte Klage „umstellt“, also die unzulässige außerprozessuale Bedingung nachträglich fallen lässt. In dem „Erstarken“ zum Hauptantrag kann allerdings eine Klageerweiterung liegen, die den diesbezüglichen prozessualen Beschränkungen unterworfen ist.

  3. Der Arbeitgeber muss zur Vermeidung einer außerordentlichen Kündigung weder auf eine beschlossene Organisationsmaßnahme verzichten noch diese mit dem Ziel „modifizieren“, dass Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse tariflich ordentlich unkündbar sind, weiterbeschäftigt werden können. Deshalb ist er grundsätzlich nicht verpflichtet, eine „Personalgestellung“ – ggf. unter Zahlung der Differenzvergütung – in seine Überlegungen einzubeziehen, wenn er eigene Arbeitnehmer überhaupt nicht mehr beschäftigen möchte. Etwas anderes kann sich aus einem besonders ausgestalteten Sonderkündigungsschutz ergeben.

  4. Es muss nicht auf missbräuchlichen Erwägungen beruhen, dass ein Arbeitgeber diejenigen Arbeitnehmer, die eine Verschlechterung ihrer Arbeitsverträge abgelehnt haben, zunächst in einem Arbeitsbereich zusammenfasst, diesen Bereich sodann zu einem eigenen Betrieb verselbstständigt und ihn anschließend an ein anderes Unternehmen verpachtet.

  5. Spaltet der Arbeitgeber seinen Betrieb, in dem ein Betriebsrat gewählt ist, in zwei Betriebe auf, die anschließend identitätswahrend auf andere Gesellschaften i. S. von § 613a BGB übergehen, und widersprechen einzelne Arbeitnehmer dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses, ist zu ihrer beabsichtigten Kündigung durch den Veräußerer regelmäßig kein Betriebsrat anzuhören. Die beim Veräußerer verbleibenden Arbeitnehmer gehören aufgrund ihres Widerspruchs keinem Betrieb mehr an, für den übergangsweise ein vollmandatierter Betriebsrat i. S. von § 21a BetrVG bestünde. Der vor der Betriebsaufspaltung amtierende Betriebsrat muss in der Regel auch nicht kraft eines Restmandats gemäß § 21b BetrVG beteiligt werden.

  6. Eine Kündigung ist i. S. von § 102 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BetrVG nicht „verfrüht“ erklärt, wenn der Arbeitgeber sie zwar vor Ablauf der Frist zur Stellungnahme an eigene Arbeitnehmer übergibt, dies jedoch mit der Maßgabe verbindet, die Kündigung erst nach Fristablauf „zuzustellen“, und er zugleich sicherstellt, den Zugang noch verhindern zu können, falls er seinen Kündigungsentschluss aufgrund rechtzeitiger Einwände des Betriebsrats doch ändern sollte.


Weiterführender Hinweis

Der Senat erwägt, dass bei streitigem Betriebsübergang und anschließender Kündigung durch den Veräußerer eine gegen beide „Arbeitgeber“ gerichtete Klage auf die Feststellung, das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers sei vor Zugang der Kündigung vom kündigenden Veräußerer auf den Erwerber übergegangen, nach § 256 ZPO zulässig sein und insoweit auf Beklagtenseite eine aus materiellen und prozessualen Gründen notwendige Streitgenossenschaft i. S. von § 62 ZPO anzunehmen sein könnte.


Auf die vollständige Begründung des Urteils wird verwiesen.


BAG vom 24.9.2015 – 2AZR 562/14 –


Bernhard Faber
Richter am Arbeitsgericht Augsburg a. D.

0 Kommentare zu diesem Beitrag
banner-arbeits-und-tarifrecht-2.png
Tarifrecht_Arbeitsrecht_PVG.png
SX_LOGIN_LAYER