Arbeits- und personalvertretungsrechtliche Aspekte bei der Vereinigung von Krankenkassen
Die ehemalige Bundesgesundheitsministerin, Frau Ulla Schmidt, hat erklärt: „Krankenkassen müssen sich effizienter organisieren. Wir brauchen nicht so viele. Die sollen fusionieren, die sollen sich konzentrieren,wofür sie da sind: für ihre Versicherten gute Angebote zu schaffen.“ Der Gesundheitsexperten der SPD,Dr. Lauterbach,sagte 2006 bereits: „Für eine fühlbare Entbürokratisierung muss jeder Versicherer mindestens 200.000 Mitglieder versorgen. Dann reichen 50 Kassen in Deutschland aus.“ Vor dem Hintergrund des politischen Drucks werden sich die Zusammenschlüsse von Krankenkassen fortsetzen. Zwar hat die Vereinigungswelle der letzen 15 Jahre dazu geführt, dass von über tausend nur noch wenige hundert Krankenkassen übrig sind. Nicht wenige von ihnen beschäftigen jedoch mehrere tausend Mitarbeiter. Bei der Zusammenlegung derartig großer Mitarbeiterstämme ergeben sich unterschiedliche Probleme sowohl auf arbeits- als auch auf personalvertretungsrechtlicher Ebene.
Dateianhänge:
Die Anzahl der in der Bundesrepublik noch existierenden gesetzlichen Krankenkassen (nachfolgend „Krankenkassen“ genannt) war innerhalb der letzten Jahre deutlich rückläufig. Hat es im Jahr 1991 ca. 1.200 Krankenkassen gegeben, so zählte man am Anfang des Jahres 2007 lediglich noch 242. Nach Ankündigung der Bundesregierung soll die Zahl der Krankenkassen weiter reduziert werden. Bei der Zusammenlegung von zwei Krankenkassen sind nicht selten einige Tausend Mitarbeiter betroffen und es ergeben sich viele Problem auf arbeitsrechtliche und personalvertretungsrechtlicher Ebene.
So stellt sich etwa die Frage nach der Amtszeit der bei den verschiedenen Dienststellen der beiden Krankenkassen gebildeten Personalräte. Können die Personalräte diese noch beenden, oder ist eine vorzeitige Personalratswahl erforderlich? Zu klären ist darüber hinaus, ob die bestehenden Dienstvereinbarungen weiterhin fortgelten und wie es sich auswirkt, wenn Dienstvereinbarungen identische Regelungsmaterien enthalten. Welche Dienstvereinbarung findet in einem derartigen Kollisionsfall Anwendung? Wie verhält es sich, wenn die sich vereinigenden Krankenkassen Firmen- bzw. Verbandstarifverträge für ihre tarifgebundenen Arbeitnehmer abgeschlossen haben? Gelten diese Tarifverträge weiter bzw. können diese durch neue Tarifverträge abgelöst werden? Aus individualarbeitsrechtlicher Sicht stellt sich die Frage, inwieweit § 613a BGB auf den Fall der Vereinigung von Krankenkassen Anwendung findet. Müssen die Krankenkassen ihre Mitarbeiter über die bevorstehende Vereinigung informieren, so wie es § 613a Abs. 5 BGB bei einem Betriebsübergang vorsieht? Welche Konsequenzen hätte der Widerspruch des Arbeitnehmers?
Die vorstehenden Fragen sollen in diesem Beitrag untersucht werden. Hierzu ist es zunächst erforderlich, die Rechtsnatur der Vereinigung von Krankenkassen näher zu beleuchten.
Die Vereinigung von Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts erfolgt im Wege der Gesamtrechtsnachfolge. Im Zeitpunkt der Vereinigung tritt die neue Krankenkasse in die Rechte und Pflichten der bisherigen Krankenkassen ein. Mit der „Geburt“ der neuen Körperschaft hören die zu vereinigenden Krankenkassen auf zu existieren.
Die Gesamtrechtsnachfolge erfolgt kraft Gesetzes. Es bedarf keiner gesonderten Übertragungshandlung oder einer sonstigen Erklärung. Ebenso wenig ist es erforderlich, mit der entstandenen Körperschaft neue Arbeitsverträge abzuschließen. Die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer der zu vereinigenden Krankenkassen gehen unverändert auf die neue Krankenkasse über. Auf diese Weise wird den Arbeitnehmern eine weitestgehende Absicherung ihrer Rechtspositionen garantiert.
Fraglich ist zunächst, ob die Vereinigung der Krankenkassen eine vorgezogene Personalratswahl erforderlich macht. Die regelmäßigen Personalratswahlen finden alle vier Jahre (vgl. § 27 Abs. 1 BPersVG). Von diesem Grundsatz kann nur in den engen Grenzen des § 27 Abs. 2 BPersVG abgewichen werden. Danach finden außerhalb des vorgenannten Zeitraumes Personalratswahlen statt, wenn
– mit Ablauf von vierundzwanzig Monaten, vom Tag der Wahl gerechnet, die Zahl der regelmäßig Beschäftigten um die Hälfte, mindestens aber um 50 gestiegen oder gesunken ist (§ 27 Abs. 2 Nr. 1 BPersVG) oder
– die Gesamtzahl der Mitglieder des Personalrates auch nach Eintreten sämtlicher Ersatzmitglieder um mehr als ein Viertel der vorgegebenen Anzahl gesunken ist (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 BPersVG) oder
– der Personalrat mit der Mehrheit seiner Mitglieder seinen Rücktritt beschlossen hat (§ 27 Abs. 2 Nr. 3 BPersVG) oder
– der Personalrat durch gerichtliche Entscheidung aufgelöst worden ist (§ 27 Abs. 2 Nr. 4 BPersVG) oder
– in der Dienststelle kein Personalrat besteht (§ 27 Abs. 2 Nr. 5 BPersVG).
Weitere Ausnahmen zur Personalratswahl außerhalb des in § 26 BPersVG bezeichneten Zeitraumes lässt das Gesetz nicht zu.
Im Zusammenhang mit der Vereinigung käme die Ausnahmeregelung des § 27 Abs. 2 Nr. 1 BPersVG in Betracht. Voraussetzung hierfür ist, dass die Anzahl der regelmäßig Beschäftigten in einer Dienststelle um die Hälfte, mindestens aber um 50 steigt oder sinkt. Ob es zu wesentlichen Veränderungen der Beschäftigtenzahl kommt, hängt davon ab, ob die Anzahl der Arbeitnehmer in den örtlichen Dienststellen der zu vereinigenden Krankenkassen nach der Vereinigung als solche unverändert bleibt. Sollte dies der Fall sein, ist eine erneute Wahl der örtlichen Personalräte nicht erforderlich.
Gleiches gilt für den in vielen Fällen am Verwaltungsstandort der Krankenkassen gebildeten Hauptpersonalrat. Zum Geschäftsbereich der Hauptverwaltung gehören alle Beschäftigen der nachgeordneten Dienststellen, die nach § 13 Abs. 1 BPersVG wahlberechtigt sind. Da gemäß § 54 Abs. 1 BPersVG die Vorschrift des § 27 BPersVG für den Hauptpersonalrat entsprechend anzuwenden ist, muss auch für den Hauptpersonalrat im Einzelnen geprüft werden, ob er nach der Vereinigung seine Amtszeit beenden kann oder ob eine erneute Wahl seiner Mitglieder vorgenommen werden muss. Wie bereits bei der Frage nach einer vorgezogenen Personalratswahl in den örtlichen Dienststellen, kommt auch hier der Ausnahmetatbestand des § 27 Abs. 2 Nr. 1 BPersVG in Betracht. Danach muss die Zahl der regelmäßig Beschäftigten – gemeint sind in diesem Fall alle Beschäftigten der miteinander vereinigten Krankenkassen – innerhalb der ersten 24 Monate nach der letzten Wahl um die Hälfte, mindestens aber um 50 Personen gestiegen oder gesunken sein.
Darüber hinaus stellt sich im Zusammenhang mit der Vereinigung von Krankenkassen häufig die Frage, wie mit den Dienststellen umzugehen ist, bei denen (noch) keine Personalräte existieren. Muss die Vereinigung zum Anlass genommen werden, die Wahl eines Personalrates zu initiieren oder kann hierauf – jedenfalls wenn die Dienststelle von ihrem Personalbestand her unverändert bleibt – verzichtet werden? Grundsätzlich geht § 12 BPersVG von der Verpflichtung zur Bildung eines Personalrates aus, soweit in der betreffenden Dienststelle in der Regel mindestens fünf Wahlberechtigte beschäftigt werden, von denen drei wählbar sind. Da das Gesetz eine „Wahlpflicht“ der Beschäftigten nicht kennt, kann die Bildung von Personalvertretungen nicht erzwungen werden. Im Falle mangelnder Initiative der Beschäftigten hat der Dienststellenleiter eine Personalversammlung einzuberufen (vgl. § 21 BPersVG). Bleibt auch die Personalversammlung untätig, so hat der Dienststellenleiter einen Wahlvorstand zu bestellen. Dies setzt jedoch einen entsprechenden Antrag von mindestens drei Wahlberechtigten oder einer in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaft voraus (vgl. § 22 BPersVG). Der Dienststellenleiter darf und muss also insoweit nicht aus eigenem Antrieb tätig werden. Sollten die Beschäftigten auch nach Bestellung eines Wahlvorstandes keine Wahl durchführen, oder sollten die Gewählten die Annahme der Wahl verweigern, so besteht keine gesetzliche Möglichkeit, die Bildung einer Personalvertretung für diese Dienststelle zu erzwingen.
Die Fortgeltung von Dienstvereinbarungen im Zuge der Vereinigung zweier Krankenkassen kann auf mehrfache Weise begründet werden.
a) Fortgeltung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge
Denkbar ist, die Fortgeltung von Dienstvereinbarungen aus dem Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge herzuleiten. Da der Weitergeltungsgrund der Dienstvereinbarung in der Gesamtrechtsnachfolge und nicht in der intakten Übernahme der alten Dienststelle liege, ist für die Weitergeltung der Dienstvereinbarungen nicht Voraussetzung, dass die alte Dienststelle erhalten bleibt. Insoweit schaffe der Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge einen eigenständigen Geltungsgrund für die Weitergeltung der Dienstvereinbarungen.
b) Analoge Anwendung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB
Andererseits wird die Auffassung vertreten, dass in derartigen Fällen § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB analog anwendbar sei und somit bei Vereinigungen von Krankenkassen ein Mindestniveau des sozialen Schutzes schafft. Zwar beziehe sich diese Vorschrift nur auf Betriebsvereinbarungen. Angesichts der ähnlichen Rechtsnatur und des sozialen Schutzzwecks sei diese Bestimmung jedoch auf Dienstvereinbarungen analog anzuwenden.
c) Wahrung der Identität der Dienststelle, Ansicht des Bundesverwaltungsgericht
Das Bundesverwaltungsgericht geht in seinem Beschluss vom 25. Juni 2003 davon aus, dass der Fortbestand einer Dienstvereinbarung im Falle der Vereinigung zweier Krankenkassen davon abhängt, ob die jeweilige Dienststelle, für die die Dienstvereinbarung abgeschlossen worden ist, unverändert fortbesteht und ihre Identität wahrt.
In dieser Entscheidung hatte sich das Bundesverwaltungsgericht erstmals mit den Auswirkungen zu befassen, die ein Zusammenschluss von öffentlichen Rechtsträgern zu einem neuen Rechtsträger auf eine Dienstvereinbarung hat, die einer der früheren, aber nicht mehr fortbestehenden Rechtsträger abgeschlossen hatte. Nach seiner Auffassung gilt die Dienstvereinbarung bereits dann trotz Wechsels des Rechtsträgers der Dienststelle fort, wenn die Dienststelle ihrerseits weiter existiert. Bestehen im Bereich eines Rechtsträgers mehrere Dienststellen, so ist auf den Dienststellenorganismus abzustellen. Hierunter versteht das Bundesverwaltungsgericht die Struktur der Dienststellen auf den unterschiedlichen Ebenen und ihr Verhältnis zueinander. Ist diese Struktur vom Zusammenschluss zweier Rechtsträger unberührt geblieben und wahrt damit ihre bisherige Identität, so sind alle Voraussetzungen erfüllt, von einer bereits personalvertretungsrechtlich bewirkten Fortgeltung der Dienstvereinbarung auszugehen. Im konkreten Fall war für die Identität des Dienststellenorganismus entscheidend, dass die Krankenkasse, für die die streitbefangene Dienstvereinbarung abgeschlossen worden war, in ihrem Aufbau und ihrer Dienststellengliederung vertikal und horizontal unverändert geblieben war. Lediglich die Organe dieser Krankenkasse wurden neu besetzt.
Nun kann es im Rahmen einer Vereinigung zweier Krankenkassen passieren, dass bei der einen Krankenkasse Dienstvereinbarungen über eine bestimmte Regelungsmaterie auf der örtlichen Dienststellenebene vereinbart worden sind, während bei der anderen Krankenkasse eine Dienstvereinbarung über dieselbe Regelungsmaterie zwischen dem Hauptpersonalrat und der Hauptverwaltung geschlossen worden ist. Fraglich ist, wie im Falle einer derartigen Kollision zu verfahren ist.
Nach § 73 Abs. 2 BPersVG gehen Dienstvereinbarungen, die für einen größeren Bereich gelten, den Dienstvereinbarungen für einen kleineren Bereich vor. Dies bedeutet jedoch nicht schlechthin, dass die von einer vorgesetzten Dienststelle mit der bei ihr gebildeten Stufenvertretung geschlossene Dienstvereinbarung die bei einer nachgeordneten Dienststelle bestehende Dienstvereinbarung aufhebt. Vielmehr bedarf es hierzu einer allgemeinen, nicht auf eine einzelne Dienststelle beschränkten Regelung. Eine Dienstvereinbarung, die den Vorrang nach § 73 Abs. 2 BPersVG besitzen soll, muss also stets für eine Mehrzahl von Dienststellen gelten, zu denen auch diejenige Dienststelle gehört, deren Dienstvereinbarung durch die vorrangige Dienstvereinbarung geändert oder verdrängt wird. Es muss also im konkreten Fall im Einzelnen geprüft werden, inwieweit die zwischen dem Hauptpersonalrat und der Hauptverwaltung geschlossenen Dienstvereinbarungen auch für die übrigen Dienststellen gelten. Dabei ist zu beachten, dass der Vorrang der den größeren Bereich umfassenden Dienstvereinbarung nur insoweit besteht, als diese Dienstvereinbarung eine positive Regelung vornimmt. Eine Dienstvereinbarung, die lediglich die Aufhebung der bei nachgeordneten Dienststellen des Geschäftsbereichs bestehenden Dienstvereinbarungen ausspricht, ohne den Gegenstand selbst zu regeln, genießt den Vorrang des § 73 Abs. 2 BPersVG nicht. Die Wirkung des § 73 Abs. 2 BPersVG tritt auch dann ein, wenn die bestehende Dienstvereinbarung im kleineren Bereich günstigere Bestimmungen für die Beschäftigten enthält.
Falls die zwischen dem Hauptpersonalrat und der Hauptverwaltung geschlossenen Dienstvereinbarungen sich namentlich auf die örtlichen Dienststellen der einen Krankenkasse beziehen, so wird es erforderlich sein, den örtlichen Anwendungsbereich auch auf die neu hinzugekommenen Dienststellen der anderen Krankenkasse zu erweitern, damit die gesamte Arbeitnehmerschaft erfasst wird.
Fazit:
Dienstvereinbarungen, die für einen größeren Bereich gelten, den Dienstvereinbarungen für einen kleineren
Bereich vorgehen. Für welche Dienstvereinbarung das gilt, muss gesondert geprüft werden.
Auch im Zusammenhang mit der Fortgeltung von Tarifverträgen stellen sich verschiedene Fragen. Was passiert, wenn die zu vereinigenden Krankenkassen an unterschiedliche Tarifverträge gebunden sind? Gilt nach der Vereinigung nur noch ein einheitlicher Tarifvertrag, oder sind die vor der Vereinigung zur Anwendung gekommenen Tarifverträge auf die neue Körperschaft parallel anwendbar?
a) Konkurrenz zwischen dem Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge und dem Tarifrecht
Es liegt auf der Hand, dass im Fall der Vereinigung von Krankenkassen der Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge mit den Besonderheiten des Tarifvertragsrechts konkurriert. Nach § 3 Abs. 1 TVG gilt ein Tarifvertrag grundsätzlich nur gegenüber den Mitgliedern der Tarifvertragparteien bzw. dem Arbeitgeber, der selbst Tarifvertragspartei ist. Bei ihrer Vereinigung hören die Krankenkassen jedoch auf zu existieren und gehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in einem neuen Rechtsträger auf. Es ist fraglich, ob auch die Tarifgebundenheit im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die neue Krankenkasse übergeht. In diesem Zusammenhang wird zwischen dem Firmen- und dem Verbandstarifvertrag unterschieden.
b) Firmentarifvertrag
Soweit die zu vereinigende Krankenkasse mit einer Gewerkschaft einen Firmentarifvertrag abgeschlossen hat, geht die Vertragsstellung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge vollständig auf die neue Körperschaft über. Der in § 3 Abs. 1 TVG enthaltene Grundsatz, dass ein Tarifvertrag nur für Tarifgebundene gilt, steht diesem uneingeschränkten Bestand der Tarifbindung nicht entgegen. Denn im Falle des Firmentarifvertrages war die zu vereinigende Krankenkasse selbst Tarifvertragspartei und nicht etwa über eine Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband an den Tarifvertrag gebunden. In diese Vertragsstellung tritt die aus der Vereinigung der beiden Krankenkassen entstehende neue Körperschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge ein.
c) Verbandstarifvertrag
Im Gegensatz zum Firmentarifvertrag ist die zu vereinigende Krankenkasse beim Abschluss eines Verbandstarifvertrages nicht selbst Tarifvertragspartei. Ihre Bindung an den Tarifvertrag ergibt sich über ihre Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband. Im Zuge der Vereinigung hört die Krankenkasse auf zu existieren. Gleiches gilt für ihre Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband. Die aus der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband abzuleitende Tarifgebundenheit geht nicht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge über.
Dies ist unproblematisch, soweit der Rechtsnachfolger ebenfalls mitgliedschaftlich mit der Tarifvertragspartei auf Arbeitgeberseite verbunden ist, die den bislang geltenden Verbandstarifvertrag abgeschlossen hat. Sofern in der Person des Rechtsnachfolgers die allgemeinen Voraussetzungen für die Anwendung des Verbandstarifvertrages, insbesondere die Tarifzuständigkeit der tarifschließenden Gewerkschaft, unverändert erfüllt sind, bleibt die Geltung des bislang für das Arbeitsverhältnis maßgebenden Verbandstarifvertrages bestehen.
Fraglich ist, ob eine normative Fortgeltung des Tarifvertrages auch dann erreicht werden kann, wenn der Rechtsnachfolger nicht mitgliedschaftlich mit der Tarifvertragspartei auf Arbeitgeberseite verbunden ist. In diesem Fall käme eine analoge Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG in Betracht. Nach Auffassungen in der Literatur sei aus § 3 Abs. 3 TVG ausdrücklich eine Weitergeltung von Tarifvertragsnormen auch nach dem Austritt eines Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband zu entnehmen. Der Tarifvertrag wirke in diesem Fall normativ weiter. Daraus ergebe sich, dass für die ursprüngliche Bindung an einen Tarifvertrag zwar die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband vorausgesetzt wird. Die Weitergeltung von Tarifnormen sei jedoch nicht an die Mitgliedschaft zwingend gebunden. Zugegebenermaßen finde auf den Untergang des Arbeitgebers bzw. die Entstehung eines neuen Arbeitgebers durch eine Vereinigung der § 3 Abs. 3 TVG nicht direkt Anwendung. Der in ihm enthaltene Schutzgedanke rechtfertige dennoch eine analoge Anwendung dieser Vorschrift. Die herrschende Meinung geht dagegen davon aus, dass § 3 Abs. 3 TVG nicht greift, wenn der neue Arbeitgeber weder aufgrund einer Regelung in der Verbandssatzung noch durch höchstpersönlichen Beitritt in das tarifvertragliche Mitgliedschaftsverhältnis eintritt. Denn die Vorschrift des § 3 Abs. 3 TVG erhält die Tarifgebundenheit nur aufrecht, wenn diejenige Person, für welche die Tarifgebundenheit fingiert wird, mit derjenigen identisch ist, die zuvor Mitglied der Tarifvertragspartei war. Das ist jedoch bei einer aus einer Vereinigung zweier Krankenkassen hervorgegangenen Körperschaft nicht der Fall.
Zu einer anderen Lösung gelangt die im überwiegenden Schrifttum vertretene Ansicht, die zumindest im Hinblick auf die Sätze 2 bis 4 des § 613a Abs. 1 BGB für eine entsprechende Anwendung plädiert. Im Vordergrund steht die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge, die bei einer entsprechenden Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG im Vergleich zu § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB eintritt. Beide Normen weichen nicht nur in konstruktiver Hinsicht voneinander ab, sondern begründen zudem ein unterschiedliches Schutzniveau. Aus Sicht des von der Gesamtrechtsnachfolge betroffenen Arbeitnehmers mag es zwar gleichgültig sein, ob die bislang für das Arbeitsverhältnis maßgebenden Tarifbestimmungen unverändert wie Rechtsnormen von außen auf das Arbeitsverhältnis einwirken oder integraler Bestandteil desselben werden. Der entscheidende Unterschied liegt aber in dem Schutz des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB vor einer einseitigen Abänderung der Arbeitsbedingungen in dem ersten Jahr nach dem Übergang des Betriebs. Insoweit ist kein sachlicher Grund erkennbar, der eine Differenzierung zwischen dem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang und einer Gesamtrechtsnachfolge rechtfertigt. Deshalb sprechen im Lichte von Art. 3 Abs. 1 GG die besseren Gründe dafür, § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB analog anzuwenden, wenn das Arbeitsverhältnis im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf einen Rechtsnachfolger übergeht und sich die Frage nach der Anwendbarkeit eines Verbandstarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis stellt. Wegen Art. 3 Abs. 1 GG ist es ebenfalls unerheblich, ob die Gesamtrechtsnachfolge auf einem Rechtsgeschäft bzw. einem Hoheitsakt beruht oder – wie im Falle der Vereinigung von Krankenkassen – kraft Gesetzes eintritt.
Die Haltung des Bundesarbeitsgerichts zu der analogen Anwendung des § 613a Abs. 1 BGB ist nicht eindeutig. Während der 3. Senat eine entsprechende Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 für alle Tatbestände einer Gesamtrechtsnachfolge befürwortet, hob der 4. Senat in dem Urteil vom 13. Juli 1994 den Ausnahmecharakter von § 613a BGB hervor und leitete hieraus ab, dass die Norm nicht analogiefähig sei. Bei einem derartigen Verständnis kann nur eine entsprechende Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG die Lücke schließen.
Nachdem vorstehend erläutert worden ist, wie Firmen- und Verbandstarifverträge nach der Vereinigung zweier Krankenkassen auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer einwirken, stellt sich im nächsten Schritt die Frage, wie es sich auswirkt, wenn beide Krankenkassen vor ihrer Vereinigung an unterschiedliche Tarifverträge gebunden gewesen sind und deshalb mehrere Tarifverträge nebeneinander in einer Dienststelle Anwendung finden können (Tarifpluralität). Nach der Rechtsprechung des BAG soll nach dem „Prinzip der Tarifeinheit“ in einem Betrieb bzw. einer Dienststelle immer nur ein Tarifvertrag zur Anwendung kommen.
In diesem Zusammenhang sind drei Konstellationen voneinander zu unterscheiden.
a) Anwendbarkeit von zwei unterschiedlichen Firmentarifverträgen
Wenn die Krankenkasse A mit der Gewerkschaft X und die Krankenkasse B mit der Gewerkschaft Y jeweils einen eigenen Firmentarifvertrag abgeschlossen hat, tritt die neu entstandene Körperschaft K kraft Gesamtrechtsnachfolge in die Vertragsstellungen der Krankenkassen A und B ein. Die Firmentarifverträge sind auf den ersten Blick parallel anwendbar.
Dieses Ergebnis widerspricht jedoch dem vom BAG entwickelten Grundsatz der Tarifeinheit. Danach kann nur einer der beiden Firmentarifverträge innerhalb einer Dienststelle zur Anwendung kommen. Um diesem Prinzip Geltung zu verschaffen, wird als Normenkollisionsregel das so genannte Spezialitätsprinzip angewandt. Danach wird der Eigenart und den besonderen Bedürfnissen der einzelnen Dienststellen und ihrer Arbeitnehmer im Zweifel am besten Rechnung getragen, wenn der diesen Dienststellen räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten stehende Tarifvertrag angewandt wird.
Im vorliegenden Fall ist zunächst zu prüfen, ob die Dienststellen der beiden Krankenkassen nach ihrer Vereinigung identisch geblieben sind. Ist dies der Fall, so kann in den ehemaligen Dienststellen der Krankenkasse A weiterhin der Firmentarifvertrag angewandt werden, der mit der Gewerkschaft X geschlossen worden war. In den ehemaligen Dienststellen der Krankenkasse B kann weiterhin der Firmentarifvertrag angewendet werden, der mit der Gewerkschaft Y geschlossen worden war.
Sollte die neue Körperschaft ihre Dienststellenorganisation nach der Vereinigung gänzlich verändert haben, kommt nach dem Spezialitätsprinzip derjenige Firmentarifvertrag zur Anwendung, der für die gesamte Arbeitnehmerschaft der „speziellere“ ist. Wenn sich – wie üblich – eine kleine und eine große Krankenkasse miteinander vereinigen, spricht viel dafür, den Firmentarifvertrag zur Anwendung kommen zu lassen, welcher von seinem persönlichen Anwendungsbereich her den größeren Teil der Belegschaft erfasst.
b) Anwendbarkeit eines Firmentarifvertrages neben einem Verbandstarifvertrag
Wenn die Krankenkasse A einen Firmentarifvertrag mit der Gewerkschaft X und die Krankenkasse B einen Verbandstarifvertrag mit der Gewerkschaft Y abgeschlossen hat, tritt die neu entstandene Körperschaft K kraft Gesamtrechtsnachfolge nur in die Vertragsstellung der Krankenkasse A ein. Der kraft Verbandszugehörigkeit für die Krankenkasse B geltende Tarifvertrag wird von der Gesamtrechtsnachfolge dagegen nicht erfasst. Die herrschende Meinung in der Literatur wendet stattdessen § 613a Abs. 1 BGB analog an, so dass die Regelungen des Verbandstarifvertrages individualvertraglich für die ehemaligen Arbeitnehmer der Krankenkasse B weiter gelten.
In einem derartigen Fall müsste geprüft werden, ob die Dienststellen der Krankenkassen nach ihrer Vereinigung unverändert fortbestehen. Ist dies der Fall, so könnte für die ehemaligen Dienststellen der Krankenkasse A der Firmentarifvertrag gelten. Der Verbandstarifvertrag wäre dagegen in den ehemaligen Dienststellen der Krankenkasse B – zwar nicht normativ aber zumindest individualvertraglich – nach § 613a Abs. 1 S. 2. bis 4 BGB analog anzuwenden. Sollte die vereinigte Krankenkasse ihre Dienststellenorganisation nach der Vereinigung gänzlich verändert haben, kommt nach dem Spezialitätsprinzip der Firmentarifvertrag zur Anwendung, weil dieser für die gesamte Arbeitnehmerschaft der „speziellere“ ist.
c) Anwendbarkeit zweier unterschiedlicher Verbandstarifverträge
Wenn die Krankenkasse A einen Verbandstarifvertrag mit der Gewerkschaft X und die Krankenkasse B einen sich hiervon unterscheidenden Verbandstarifvertrag mit der Gewerkschaft Y abgeschlossen hat, kommt nach der herrschenden Meinung eine Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 S. 2–4 analog in Betracht. Im Ergebnis würden die tarifvertraglichen Regelungen, die auf die betroffenen Arbeitsverhältnisses der tarifgebundenen Arbeitnehmer zuvor normativ eingewirkt haben, nunmehr individualvertraglich anwendbar sein.
Fraglich ist, ob die Arbeitnehmer in analoger Anwendung des § 613a Absätze 5 und 6 BGB vor der Vereinigung der Krankenkassen entsprechend zu unterrichten sind und dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprechen können.
Auch hier könnte der analogen Anwendung die gesetzlich angeordnete Gesamtrechtsnachfolge entgegenstehen.
Für eine analoge Anwendung sprechen jedoch die allgemeinen Erwägungen, die das Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit dem Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers in § 613a Abs. 6 BGB angestellt hat. Es hat anerkannt, dass der einzelne Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen können muss. Das Widerspruchsrecht sei vor allem aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich, da zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) gehöre, nicht gegen seinen Willen zu einem Arbeitsverhältnis mit einem neuen Arbeitgeber gezwungen zu werden. Auch das Grundrecht auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 12 GG) schütze vor einem Zwangswechsel zu einem neuen Arbeitgeber. Der Arbeitgeberwechsel stelle einen gravierenden Eingriff in die vertragliche Position des Arbeitnehmers dar. Deshalb könne dem Arbeitnehmer nicht umstandslos ein völlig neuer Arbeitgeber zugemutet werden. Diese Grundsätze müssen aufgrund des identischen Schutzbedürfnisses des Arbeitnehmers auch für den Fall des Übergangs seines Arbeitsverhältnisses im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gelten.
In analoger Anwendung des § 613a Abs. 5 BGB sind die Arbeitnehmer der sich vereinigenden Krankenkassen damit umfassend zu unterrichten über den feststehenden bzw. den geplanten Zeitpunkt des Übergangs. Darüber hinaus muss über den Grund des Übergangs informiert werden. Hierzu gehört, sowohl über die rechtsgeschäftliche Grundlage als auch über wirtschaftliche Gründe zu informieren. Dabei müssen vertrauliche Geschäftsinterna nicht offengelegt werden, wie zum Beispiel die unternehmensinternen Kalkulationen. Ferner muss die Information auch die rechtlichen Folgen, zum Beispiel die des § 613a Abs. 1 und 2 BGB, umfassen. Die wirtschaftlichen Folgen können z. B. im Fortbestand der Arbeitsverhältnisse und der Arbeitsbedingungen zu sehen sein. Schließlich ist es erforderlich, die Arbeitnehmer über Maßnahmen wie zum Beispiel Weiterbildungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der organisatorischen Umstrukturierung zu informieren. Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass der Lauf der Widerspruchsfrist von einem Monat (§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB) nur dann zu laufen beginnt, wenn die Unterrichtung ordnungsgemäß im Sinne von § 613a Abs. 5 BGB erfolgt ist.
Es kann damit gerechnet werden, dass von dem Widerspruchsrecht von Seiten der Arbeitnehmerschaft so gut wie kein Gebrauch gemacht wird. Denn mit der Vereinigung der beiden Krankenkassen hören die ehemaligen Arbeitgeber auf zu existieren. Dies bedeutet, dass eine betriebsbedingte Kündigung ohne weiteres ausgesprochen werden könnte, soweit das Arbeitsverhältnis aufgrund des Widerspruchs des Arbeitnehmers nicht auf die neue Körperschaft übergeht. Die Kündigung wäre auch sozial gerechtfertigt und regelmäßig nicht gemäß § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB unwirksam. Denn in einem Fall der Vereinigung zweier Krankenkassen erfolgt die Kündigung nicht wegen des Übergangs, sondern wegen des Wegfalls der Funktionen der bisherigen Arbeitgeber. Somit ist die Kündigung nicht übergangsbedingt, sondern widerspruchs- und betriebsbedingt.
Was den Bestand der bei den Krankenkassen gebildeten Personalräte angeht, so ist darauf abzustellen, ob es zu wesentlichen Veränderungen der Beschäftigtenzahl innerhalb der Dienststellen kommt (vgl. § 27 Abs. 2 BPersVG). Sollte dies der Fall sein, ist eine erneute Wahl der örtlichen Personalräte erforderlich. Die Dienstvereinbarungen, welche innerhalb der Dienststellen der zu vereinigenden Krankenkassen mit den örtlichen Personalräten geschlossen worden sind, behalten auch nach der Vereinigung ihre Gültigkeit, soweit die örtlichen Dienststellen ihre Identität wahren. Gleiches gilt grundsätzlich auch für die Dienstvereinbarungen, welche mit dem am Standort der Hauptverwaltung gebildeten Hauptpersonalrat geschlossen worden sind. In diesem Zusammenhang ist darauf abzustellen, ob die Identität des Dienststellenorganismus, also die horizontale und vertikale Dienstellengliederung, auch nach der Vereinigung beibehalten worden ist. Im Fall von miteinander kollidierenden Dienstvereinbarungen ist mit § 73 Abs. 2 BPersVG auf ihren örtlichen Anwendungsbereich abzustellen. Dienstvereinbarungen, die für einen größeren Bereich gelten, gehen den Dienstvereinbarungen, die ihre Regelungswirkung nur auf einen kleineren Bereich erstrecken, vor.
Problematisch wirkt sich das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge im Zusammenhang mit der Fortgeltung von Tarifverträgen aus. Hier ist zunächst zwischen Firmen- und Verbandstarifverträgen zu unterscheiden. Bei den Firmentarifverträgen tritt die aus der Vereinigung der beiden Krankenkassen entstehende neue Körperschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in die Vertragsstellung der tarifvertragschließenden Krankenkasse ein. Beim Verbandstarifvertrag wirken die tarifvertraglichen Regelungen individualvertraglich gemäß § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB analog auf die Arbeitsverhältnisse ein. Haben beide sich zu vereinigenden Krankenkasse unterschiedliche Tarifverträge abgeschlossen, so ist weiter zu differenzieren, ob es sich um zwei Firmen- oder zwei Verbandstarifverträge handelt bzw. ob die eine Krankenkasse eine Firmen- und die andere einen Verbandstarifvertrag abgeschlossen hat. Ebenso kommt es darauf an, ob sich die Dienststellenorganisation nach der Vereinigung geändert hat oder unverändert fortbesteht.
Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten sollten die Arbeitnehmer bereits vor der Vereinigung über den bevorstehenden Übergang ihres Arbeitsverhältnisses gemäß der in § 613a Abs. 5 normierten Anforderungen informiert werden. Ein etwaiger Widerspruch des Arbeitnehmers begründet regelmäßig keine Probleme für den Arbeitgeber, weil eine auf den Fortfall seiner Existenz begründete betriebsbedingte Kündigung regelmäßig wirksam ist.
Jan Ruge und Justus Maerker
gekürzter Beitrag nach ZTR 2007, 663